Mittwoch, 8. August 2012

let me be yours - Kapitel 2

Stunden nach der Prügelei vorm Stadtpark, saßen wir in der Ausnüchterungszelle der örtlichen Polizei. Die tristen weißen Fließen an den Wänden, die sich nicht wirklich von den grauen am Fußboden absetzten, deprimierten mich. Langsam beschlich mich der Verdacht, dass es keinen Ort in diesem verschlafenen Kaff gab, der mich mehr runter zog, als dieses Loch. Zurzeit lehnte ich an Daniel, die Augen geschlossen versuchte ich einfach nur die Zeit abzusitzen und hoffte, dass wir dieses Mal daran vorbeikamen, meinen alten Herren anzurufen. Meine Hoffnungen waren minimal, denn durch die Tatsache, dass meine Volljährigkeit noch sechs Monate auf sich warten ließ, würde mein Bruder eben diesen benachrichtigen, nur damit ich nicht den Rest des Wochenendes hier versauern müsste. Vollkommen unerwartet riss mich die gereizte Stimme von Ashley aus meinen Tagträumereien:
»Wie seit ihr nur auf die verrückte Idee gekommen? Mit euch kann man sich nirgends blicken lassen. Ich hätte auf Rica hören sollen!« Ein leichtes Schmunzeln legte sich auf meine Lippen, als ich diese Worte vernahm. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass ihr Temperament gerade mit ihr durchgegangen war. Augenblicklich festigte Daniel seinen Griff, drückte mich dadurch noch ein Stückchen näher an sich ran und entlockte mir ein leises Seufzen. Schon früher liebte ich es, mich einfach an ihn anzulehnen und meine Seele baumeln zu lassen.

»Sowas passiert öfter. Warum müssen solche betrunkenen Spinner auch immer wehrlose Frauen anfassen?«, sprach mein Sitznachbar lachend aus. Doch statt einer Antwort trat eine endloswirkende Stille ein, welche mich in eine leichte Schlafphase abdriften ließ. Daniels sanfte Streicheleinheiten auf meinem Oberarm machten es mir nicht wirklich einfacher, wach zu bleiben. Erst das quietschende Geräusch, aus dem Vorraum ließ mich hochschrecken. Ein stämmiger Polizist kam zu uns vor, seine dumpfen Schritte schallten durch den schmalen Gang und verrieten, dass er mehr Gewicht hatte, als er vertragen könnte. Sofort sah ich zu meinem Bruder auf und beobachtete jede Reaktion genau. Sein leichtes Lächeln wurde intensiver und zog sich jetzt breit über seine Lippen, während er sich zum Gitter drehte. Ihm war genauso wie jedem anderen hier bewusst, dass er gehen durfte. Er und Rio waren die Ältesten und mit diesen beiden fing es immer wieder an.
»Crawford, du kannst verschwinden«, erklang die miesgelaunte Stimme des Wärters. Ich denke, er war es leid, uns jedes Mal bei seiner Wochenendschicht anzutreffen.
»Du kennst die Regeln, nicht wahr?«, fügte er seinem Satz mit einem bedrohlichen Unterton hinzu. In meinen Augenwinkeln vernahm ich ein leichtes Nicken meines Sitznachbars, während er mich losließ und aufrichtete, um sich zur Tür zu bewegen. Die Grundregeln waren einfach, das Einhalten hingegen fiel ihm oftmals schwerer. Er durfte gehen, allerdings ohne Umwege auf direktem Weg nach Hause. Ein kleiner Schlenker und sei es nur eine Imbissbude, könnte ihm schwerwiegende Kosequenzen einbringen. Sollte ihn heute Nacht noch einmal ein Gesetzeshüter anhalten, müsste er mindestens zwei Tage hier drinnen ausharren.
»Kann ich meinen Alten anrufen? Er bewegt seinen Arsch nicht hierher und ich möchte meine Schwester nicht bei euch versauern lassen.« Der Wachmann nickte kurz, unsere Situation war hier allgemein bekannt. Daniel ging jetzt mit nach oben und von dort aus Kontaktierte er Vater. Ich ahnte nicht, wie sauer dieser sein würde, immerhin war es schon das dritte Mal diesen Monat, aber ich war mir sicher, dass mein Bruder wirklich Stress bekam. Im Endeffekt käm dann alles wie immer, dem Beamten wurde mitgeteilt, dass er mich mit Daniel gehen lassen musste, da mein alter Herr nicht in der Stadt war. Als Entschädigung gäbe es wieder eine hübsche Spende. Wer das Geld hat, der hat es halt. Es war ja nicht so, als würde man uns die Einträge aus den Registern streichen, ich kam nur etwas früher aus der Zelle, als eigentlich vorgesehen. Was sollten wir auch anderes machen, unser Alter war nicht zuhause und kam nur zwei, drei Mal im Jahr vorbei. In dieses wenigen Tagen bekam ich ihn meist nicht mal zu Gesicht. Mein Bruder lächelte mir noch einmal zu, bevor er hinter der Wand verschwand und nun dem Polizisten den langen Gang entlang nach oben folgte. Jetzt saß ich hier allein bei den Chaoten, die ich über all die Jahre in mein Herz geschossen hatte.

»Dan übertreibt, wenn es um dich geht« Ich fuhr in die Richtung herum, aus der die Stimme zu mir drang. Augenblicklich zog ich meine Mundwinkel hoch und sah in Rios strahlende Augen. Mit seiner selbstverständlichen Gelassenheit strich er sich eine Strähne aus der Stirn. Eigentlich waren seine Haare zu Spikes gestylt, damit seine blonden Spitzen besonders zur Geltung kamen, doch diese hatten die Prügelei wohl nicht überstanden.
»Ja seit Mutters Tod...«, antwortete ich mehr hauchend. Dieses Thema nahm mich auch nach der ganzen Zeit noch mit.

Nur zu gut konnte ich mich an den verregneten Abend vor fünf Jahren erinnern, es war die Nacht, in der sich mein Leben veränderte und Daniel so beschützend werden ließ. Meine Mutter und ich warteten bereits auf die Männer der Familie, das Abendessen stand längst auf dem Herd und wie so oft hatten Vater und Daniel Verspätung. Von meinem Bruder waren wir dies gewohnt, er hielt nichts von Pünktlichkeit oder Regeln. Sein Lehrer meinte, er sei gerade in seiner Aufmüpfigkeitsphase und heute kann ich sagen, das war er wirklich. Mein alter Herr hingegen arbeitete wieder zu viel. ‚Von nichts kommt nichts‘ entgegnete er, wenn man ihn danach fragte. Doch an diesem Abend war etwas anders. Das Telefon klingelte, eine bekannte meiner Mutter war am Apparat. Mit kurzen Worten teilte diese ihr mit, dass ihr Gatte sie mit seiner Sekretärin betrügen würde. Selbstverständlich glaubte sie dieser Aussage, wer hätte schon eine andere Reaktion gezeigt, den wie in jeder Ehe kreiselte es bei den beiden. Augenblicklich beschloss sie loszufahren, überhörte mein Flehen noch zu warten, bis Daniel nach Hause käme. Ich hatte Angst, auch wenn ich damals erst zwölf war, fürchtete ich mich vor dieser Autofahrt. Trotz meiner Furcht ließ ich sie nicht alleine fahren und so stieg ich schweren Herzens zu ihr in den Wagen.
Nur ein kleiner Augenblick veränderte mein Leben. Auf einer Kreuzung missachtete meine Mutter die Vorfahrt. Der Lastwagen, der von unserer linken kam, konnte nicht rechtzeitig bremsen und rammte so mit voller Geschwindigkeit in das Auto rein. Ich weiß nicht, ob es Schicksal war, aber genau an dieser Ecke befand sich mein Bruder und hatte alles mit ansehen müssen. Er zog mich aus dem Wagen und rettete mir damit mein Leben, den ich hatte einen schockbedingten Herz-Kreislaufstillstand. Für Mutter hingegen kam jede Hilfe zu spät, ihr Airbag funktionierte nicht vorschriftsgemäß. Bis heute litten wir darunter und Vater stürzte sich seit diesem Tag in seine Arbeit, was dafür sorgte, dass er für nichts anderes mehr einen Kopf hatte. Selbst wir Kinder waren nur noch Nebensache. Im Gegensatz dazu übernahm Daniel ab diesem Zeitpunkt die Rolle meines Aufpassers. Von Tag zu Tag wurde er besitzergreifender und seine Sorge, mir könnte Ähnliches wiederfahren wie Mutter, ließ ihn übervorsichtig werden.

Ich spürte, wie sich Tränen ihren Weg über meine Wange suchte, jedes Mal bei dem Gedanken an Mutter erging es mir so. Augenblicklich zogen mich zwei starke Arme an einen muskulösen Oberkörper. In meinen Gedankengängen hatte ich nicht bemerkt, wie mir Rio näher gekommen war und schon presste er mich fest an sich und strich behutsam über meinen Rücken.
»Du bist halt alles, was er noch hat. Euer Vater war ewig nicht mehr für euch zugegen«, flüsterte er beruhigend. Er wusste, wie sehr mich dieses Thema mitnahm, und sprach es daher nur selten an. Zudem brauchte er es eigentlich auch nicht. Da Rio bereits ein Teil unserer kleinen Familie war, wenn auch nur gefühlsmäßig, wusste er sowieso alles. Das Knarren der Türe erreichte uns, doch ich schenkte dem kaum Beachtung, wozu auch, der Polizist käme zu uns durch und entweder Rio durfte gehen, oder man hatte Vater erreicht. Mein Blick hingegen wanderte über die Schultern meines besten Freundes zu Ashley, die an ihren Freund, Shane, gekuschelt saß und ein friedliches Lächeln auf den Lippen besaß.

»Mich würde es nicht wundern, wenn Dan dich flachlegt! Ihre seit mehr als nur Geschwister!«, drang eine eiskalte Stimme von meiner Rechten zu mir. Es war Steve, der Dritte im Bunde der Curtis, der mittlere Bruder von Ashley und Rio. Seine grauen Augen blitzten verstohlen auf, als sich unsere Blicke trafen. Sein zurückgestyltes braunes Haar wirkte durch das Gel nahezu schwarz und seine Haut wirkte im Schatten der Zelle noch dunkler als sie ohnehin schon war. Um ehrlich zu sein kannte ich ihn nicht wirklich, er war meist nur dabei, wenn Rio ihn mitschleppte und sonst hatte ich ihn nur ein paar Mal gesehen. Wir konnten uns vom ersten Tag an nicht ausstehen, vielleicht war es auch all die Jahre das Beste.
»Hör auf so einen Müll zu verbreiten, sie ist meine Schwester und nicht mehr, kappiert?!«, drang Daniels gereizte Stimme durch den Raum. Augenblicklich entfernte ich mich ein Stück von Rio und drehte mich zur Türe. Dies Thema sollte nicht ausgeweitet werden und schon mal gar nicht hier, den die Polizeistation war meiner Meinung nach für nichts der richtige Ort. Umgehend versuchte ich ihn in ein Gespräch zu verwickeln und hoffte, dass er das vorgefallene vergaß.
»Hast du Vater erreicht?« Ein leichtes Nicken kam von seinerseits und fixierte Steve weiterhin mit seinen Blicken.
»Ihr geht jetzt nach Hause, ich will euch den restlichen Monat nicht mehr hier sehen. Drei Wochenenden in Folge sollten reichen, ihr seit zu jung, um euch das Leben mit einem Strafeintrag zu versauen«, erklang die Stimme des Polizisten, welcher hinter Daniel auftauchte. Verlegen blickte ich auf den Boden und nickte kaum merklich, während mein Bruder ein ‚Jawohl Chef‘ hervor presste. Unverzüglich schritt ich aus der Zelle, winkte noch kurz den andern zu, bevor ich meinem Bruder und dem Wachmann nach oben folgte und hinaus aus dem Gebäude.

»Nimm die Worte dieses Idioten nicht ernst, er redet nur Schwachsinn. Wahrscheinlich hat er nicht mal nachgedacht, was er da redet«, erklang Daniels Stimme, die ich in gedankenverloren nur vage wahrnahm. Ich nickte kurz, den immer noch kreisten meine Gedanken um meine Mutter. Nach dem Satz von Rio stellten sich mir einige Fragen, unter anderem, ob einige Dinge anders verlaufen würden, wenn sie noch unter uns währe? Sein Arm legte sich um meine Schulter und zog mich augenblicklich an seinen muskulösen Brustkorb. Wie in Trance schmiegte ich mich an ihn und sog seinen Duft ein, während ich mich von ihm sanft bis zur Ecke dirigieren ließ, an der er auf die Curtis-Geschwister warten wollte. Unvorhergesehen presste er mich mit seinem Körper gegen die Wand und sah mir eindringlich in die Augen. Seine Blicke gaben mir das Gefühl, dass er in meine Seele sehen konnte und jeden einzelnen Gedanken vernahm.
»Du musst mir was versprechen, Rica«, wisperte er leise, während sein warmer Atem auf mein Gesicht traf. Verunsichert durch seinen plötzlichen Stimmungsumschwung und der Tatsache, dass er mich zwischen der kalten Wand und seinem warmen Körper festhielt, versuchte ich seinen Blicken standzuhalten.
»Was Daniel?«, hauchte ich mit zitternder Stimme aus. Diese extreme Nähe zu ihm war ich nicht gewohnt und bereitete mir im Moment ein komisches Gefühl in der Magengegend. Ich hatte keine Angst vor ihm, aber dennoch war mir die gänzliche Situation unangenehm.
»Verlass mich niemals, okay? Du bist alles, was mir wichtig ist, ohne dich will ich nicht leben.« Perplex nickte ich, er wusste, dass er ebenso alles für mich war, mehr Familie hatte ich nicht. Wie sollte ich mir da auch ein Leben ohne ihn vorstellen können?
»Ich verspreche es dir«, sprach ich nun aus und konnte sehen, wie sich seine Blicke entspannten. Ein leichtes Lächeln schlich sich in seine Mundwinkel, bevor er sein Gesicht in meiner Halsbeuge vergrub und tief einatmete. Einen Moment verharrte er in dieser Position, ehe er seinen Kopf wieder anhob und Richtung Revier schaute. Unvorhergesehen verlagerte er noch mehr Gewicht auf mich. Auf unerklärliche Weise fühlte es sich nicht erdrückend an. Es war ein angenehmer Druck, der sich auf meinem Körper verteilte.

»Verzeih...«, hauchte mein Gegenüber aus, perplex beobachtete ich ihn, als sich sein Gesicht dem Meinen näherte und sich letztendlich seine warmen Lippen auf meine legte. Augenblicklich riss ich die Augen auf und starrte ihn an, während sich mein Körper versteifte. Gänzlich mit der Situation überfordert überschlugen sich meine Gedanken. Sollte ich ihn wegstoßen? Wenn nicht und ich dies zulasse, würde Steve recht haben? Vielleicht war es nur der Alkohol, der ihn dazu trieb. Mir war bewusst, dass wir ein unnatürliches Verhältnis zueinander führten, allein schon durch seine extreme Fürsorge. Doch hielten wir uns stets in einer geschwisterlichen Beziehung.
Erst als Daniel drohte sich von mir zu entfernen, löste er mich aus meinen Gedankengängen. Konfus schlang ich meine Arme um seinen Hals und presste mich näher an ihn. Sofort verlagerte er eine Leidenschaft in den Kuss, die mein Herz zum Rasen brachte und meinen Kopf vernebelte. Seine Zunge, die sich zielsicher einen Weg zu meiner suchte, jagte einen Impuls durch meinen Körper, welcher gemischte Gefühle hinterließ. Ein Empfinden, welches das Geschehen genoss und mir zeitgleich ein schlechtes Gewissen verabreichte.

Doch sogleich drangen schnelle Schritte zu uns durch. Augenblicklich löste sich Daniel von mir und drehte sich in die Richtung, seine Augen weiteten sich kurzzeitig und verzogen sich darauffolgend zu kleinen Schlitzen. Das, was er sah, passte ihm nicht im geringsten.

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