Mittwoch, 8. August 2012

behind your eyes - Kapitel 5

Carver hockte vor mir, ein siegessicheres Lächeln auf seinen Lippen und keine Reaktion auf den feuerrot leuchtenden Handabdruck auf seiner Wange. Mein Körper fing an zu zittern und seine einzige Regung war ein Gelassenes 
»Reg dich nicht auf, Babe.« Ich konnte mir nicht vorstellen, wie er die ganze Situation so locker sehen konnte. In mir sträubte sich jede einzelne Zelle gegen sein Verhalten und ebenfalls dagegen mich jetzt mit ihm über diese Situation zu unterhalten, dennoch stellte sich mir noch eine Frage. Wie war er aus dieser Situation, ohne auch nur einen sichtlichen Kratzer herausgekommen?

Starr sah ich ihn an, der Schock des Momentes ging allmählich zurück und ich merkte, wie mein Körper anfing zu zittern. Dieses Rennen hatte seine Auswirkungen auf mich, meine Beine fühlten sich an wie Pudding und nur einen Moment später kam ich mit den Knien hart auf den Boden auf. Nicht mal die Tränen auf meiner Wange hatte ich bemerkt, bis Carver sich ein Stück vorbeugte und diese sanft wegstrich. 

»Babe?« Ich senkte den Blick, ich wollte ihn nicht ansehen, es würde nur wieder diese Bilder hervorrufen. Seine Hand legte sich auf meine Schulter, der Griff fest, aber nicht schmerzend, zog er mich an sich.

Ich spürte die beruhigenden Bewegungen seine Hand auf meinen Rücken und lehnte mich gänzlich an ihn. 

»Du bist ...« fing ich eine Frage an, doch die Tränen versiegten meine Stimme. Wieso musste ich ausgerechnet jetzt heulen? 
»Ja, ich bin über die Klippe gerutscht, aber ich wusste, was ich tue.« Seine Stimme brannte sich in meinen Kopf, die Worte wiederholten sich dauernd und jagten mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken. Carver lachte leise, ihn schien es zu gefallen. 
»Hör mal, Alec, ich bring mich nicht selber in Gefahr, wenn ich nicht weiß, dass ich die Situation auch überlebe.« seine Stimme wirkte beruhigend, auch wenn sie gefühllos wirkte. Ihm schien das Geschehene nicht im geringsten Nahe zu gehen.

Ich weiß nicht, wie lange wir so da hockten, bis mich die Sirene eines Krankenwagens hochfahren ließ. Ein Blick zu Carver reichte, er nickte und löste seinen Griff von meiner Schulter. Auf der Stelle ging ich zu Mason, wo gerade die Sanitäter eintrafen und ihn betrachteten. 

»Was ist passiert?« ertönte die Stimme einer jungen Dame. 
»Er ist von seinem Motorrad gestürzt und kann sich nicht mehr bewegen.« Eric berichtete ruhig, was geschehen war, schilderte dabei allerdings den Vorfall ein wenig anders. Statt eines Rennens erklärte er, dass Mason ein paar Stunts zeigen wollte, die er geübt hatte. Die Sanitäter hörten sich alles ruhig an und sahen währenddessen nach dem regungslos am Boden liegenden Körper. Die Rettungsassistentin sprach Mason an, sofort riss er seine Augen auf und suchte die Umgebung ab, die er einsehen konnte. Doch dann fixierten sie einen Punkt, ich brauchte nicht hinsehen, um zu wissen, dass diese vernichtenden Blicke zu Carver gingen.

Der zweite Sanitäter kam mit einer Liege zurück und brachte sie neben Mason zum Stehen, sofort ging ich noch ein Stück näher an die kleine Gruppe ran. 

»Wird er wieder?«, meine Stimme zitterte bei den Worten. Eigentlich müsste ich sauer auf ihn sein, immerhin war es seine Idee, dieses Rennen zu starten, dennoch machte ich mir mehr Sorgen um ihn. Die Assistentin nickte, lächelte leicht, wandte ihren Blick jedoch nicht von Mason. 
»Haben sie Verwandte, die wir benachrichtigen können?« ihre Stimme war klar und deutlich, die Frage eigentlich nebensächlich, aber sie wollte testen, wie viel Mason noch von seinem Umfeld mitbekam. 
»Nein ...«, hauchte er aus und verzog sein Gesicht. Die nächsten Minuten vergingen rasend. Mason wurde für den Transport vorbereitet und zum Wagen gebracht. Ich weiß nicht wieso, aber ich rannte hinterher. Als ich dort ankam, hielt ich die Türe fest, der Sanitäter sah mich an und lächelte, ich brauchte nicht einmal ein Wort sagen, er ließ mich sofort rein.

Während der Fahrt schien Mason mich nicht zu bemerken, er sah starr an die Decke und regte sich nicht. Der Rettungsassistent beteuerte mir, dass es an den Medikamenten lag, dennoch machte ich mir Sorgen. Er hatte mich verletzt, um mich gespielt, aber trotz allem hatte ich noch Gefühle für ihn. Ob es Liebe war, konnte ich nicht sagen, aber selbst wenn nicht, er war mir als Freund wichtig. Im Krankenhaus angekommen, wurde er direkt zum OP gefahren, ich wartete draußen und füllte die Dokumente aus, die ich nicht schon im Wagen ausgefüllt hatte. Zimmeraufnahme, Personalien für das Krankenhaus, Ärzteliste, Verwandte und so weiter. Zeitweise hatte ich das Gefühl, es nahm kein Ende.

Während der ganzen Zeit hielt ich mich vor dem Operationsraum auf und lief den Gang auf und ab, sobald ich Luft hatte. Bereits eine Stunde war vergangen und kein Arzt kam heraus, der mir etwas mitteilen konnte. So schlimm sah Mason eigentlich nicht aus, ging es durch meinen Kopf und dennoch hielten sie ihn immer noch dadrin. Eric war kurz hier, aber längst wieder zu den anderen gefahren, wieso sollte er auch warten. Ich wusste nicht mal, warum ich hier wartete. Vielleicht lag es daran, dass niemand seinen Eltern bescheid gesagt hatte. Doch diese interessierten sich sowieso nicht dafür, was ihr Sohn machte. Lediglich ob er etwas gegen das Gesetz tat war für diese relevant.

Ich schrak auf, als ich jemanden meinen Namen durch die Stille des Ganges rufen hörte. Schnell drehte ich mich um und sah Carver entgegen. Langsam und mit festem Ziel schritt er vorwärts, immer weiter auf mich zu. 

»Was willst du? Du bist es doch erst schuld, dass er hier ist!« Auch wenn ich wusste, dass er eigentlich gar nichts dafürkonnte, dass Mason das Rennen fahren wollte, fuhr ich ihn an. Ich war gereizt und meine Gedanken rasten nur so um das, was er alles haben könnte. 
»Reg dich ab, Babe. Es war seine Wahl und ich bin nicht hier für Streit.« Kurz vor mir bleib er stehen, legte einen Arm um mich und zog mich an sich. 
»Ich will dir nur beistehen. Wenn du mich nicht hier haben willst, dann sag es.«

»Ich ...«, fing ich einen Satz an und sah Carver an, mir tat es Leid, wie ich ihn angemeckert hatte, ohne auch nur abzuwarten, was er sagen wollte. 

»Es tut mir Leid«, hauchte ich kleinlaut aus und lehnte mich an ihn. Es war angenehm jemanden bei mir zu haben, während die Ärzte nicht aus dem Raum kamen und das grelle rote OP Licht immer noch brannte. Zusammen warteten wir, bis letztendlich die Lampe ausging. Mein Zeitgefühl war längst verschwunden, doch als die Mediziner, mit zufriedenem Ausdruck, aus dem Saal kamen, fiel eine große Last von mir. Ohne ein Wort abzuwarten, sprang ich Carver förmlich um den Hals. Er lächelte, legte seine Hand auf meinen Hinterkopf und durchbrach schnell den Abstand zwischen unseren Gesichtern. Es war nur ein kurzer Kuss, der von einer Schwester unterbrochen wurde. 
»Miss? Der Patient wird in die vierte Station, Zimmer A473 gebracht.« Ich drehte mich zu ihr und dankte ihr lächelnd. 
»Wenn er auf seinem Zimmer ist, nehm ich dich mit, du brauchst Ruhe«, stellte Carver mit fester Stimme seinen eigentlichen Grund fürs Hiersein klar. 
»Sonst bist du die Nächste, die hier liegt«, fügte er noch hinzu und drückte mich den Gang entlang.

Zusammen gingen wir zu Masons Zimmer, er schlief wieder. Die Schwester sagte mir, dass es ihm besser ging, er keine Schmerzen mehr hätte und bis zum nächsten Morgen schlafen würde. Mehr Auskunft durften sie nur Verwandten geben. Da er allerdings auf einer normalen Station war, dürfte es nicht schlimm sein. Ich nahm mir vor, ihn heute Abend nicht näher anzuschauen, wenn ich ihn morgen besuchen würde, könnte er mir alles erzählen.

Nach unserem kurzen Aufenthalt auf der Station fuhr mich Carver nach Hause. Ich war ihm wirklich dankbar darüber, denn zurückfahren und so tun als sei nichts passiert, hätte ich nicht gekonnt. Er war mit rein gekommen und so kam es dazu, dass wir im Wohnzimmer auf der Couch saßen, uns eine Peinlichkeit nach der anderen erzählten und dabei tranken. Natürlich hatte er wieder die Frechheit und bediente sich an Erics Alkoholvorrat, bevor er sich neben mich setzte. ‚Der Abend ist noch jung‘ war seine Begründung. Ich achtete nicht auf das Etikett, Alkohol generell war eigentlich nicht so ganz mein Fall, aber nach dem Abend wäre es das Einzige, was mich zum Schlafen bringen könnte.

Drei Stunden waren vergangen, als ich auf die Uhr blickte, vor uns eine kleine Ansammlung von verschieden großen Flaschen, deren Inhalt zumeist geleert war. Der Alkohol war mir längst in den Kopf gestiegen, nicht dass ich nur noch vor mich her brabbelte, nein, ich hatte nicht einmal mehr eine klare Sicht. Selbst Carvers Worte drangen nicht mehr wirklich zu meinem Bewusstsein vor, es war, als wäre er zwar anwesend, aber hätte keine Stimme. Meine Blicke waren starr auf seine betörenden Lippen gerichtet, jede kleinste Bewegung betrachtete ich genau und überlegte, ob es dreist wäre, diese zu unterbrechen. Vorsichtig beugte ich mich näher zu seinem Gesicht und musterte seine Reaktion genau. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln und das nächste, dass ich wahrnahm, war, wie er mich an sich zog und unsere Lippen zu einem begehrenden Kuss verschloss.

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