Mittwoch, 8. August 2012

let me be yours - Kapitel 1



Der Abend war schon fast vorüber, die Lichter drangen in allen Farben in meine Augen und verschwammen sofort wieder. Der Rausch des Alkohols hatte mich bereits gänzlich eingenommen und dennoch hielt ich mich weiterhin auf der schwarz-marmorierten Tanzfläche des edel Schuppens auf, in dem ich es seit beginn des Abends aushielt. Die stickige Luft, deren Mischung aus Nikotin, Alkohol, sämtlicher Sorten von Parfüms oder Aftershaves und Schweiß bestand, nahm ich nicht mehr wahr. Ebenso wenig die Menschen, die sich um mich herum tummelten. Diese Nacht sollte nur mir gehören, denn heute Mittag hatte ich mein Abschlusszeugnis bekommen und war nun endgültig von der Schulbank erlöst. Ich liebte dieses Gefühl, das mir der Alkohol und die dichte Masse auf der Tanzfläche gab. Nur hier fühlte ich mich wirklich frei, sobald ich aus dieser Menge austrat, war ich wieder die Tochter des Firmenleiters der ‚Crawford Productions‘ und wurde von Daniel umsorgt. Eine Adoption machte uns vor Jahren zu Geschwistern, mit dieser Aussage erklärte man uns, das wir verwandt waren, auch wenn das Blut nicht das gleich sei. Wir legten nie viel Wert darauf, zu erfahren, wer von uns beiden nicht das leibliche Kind ist. Was mich ein wenig störte, war, dass nicht ein Wochenende verging, ohne das er seine Beschützernummer brachte. Es ist nicht so, als sei ich ihm deswegen sauer, nein, ich liebte ihn, so wie es zwischen Geschwistern sein sollte, aber dennoch wünschte ich mir manchmal ein wenig mehr Freiheit.


Hemmungslos tanzte ich auf der Tanzfläche, ohne auf mein Umfeld zu achten, warf meine Hände in die Luft und ließ meine Hüften kreisen. Ich liebte es, mich hier gehen zu lassen, der einzige Ort, an dem mein Bruder mich nicht dauernd im Blick halten konnte. Die Richtung der Musik änderte sich, der harte Beat wurde zu einer ruhigen Melodie. Urplötzlich schlangen sich zwei Arme um meine Taille und zogen mich an einen muskulösen Körper hinter mir, was mich ungewollt keuchen ließ. Ich achtete nicht weiter darauf, wer diese Person war. Wissend, dass er mir nicht näher kam, als diese Situation, ließ ich mich auf sein Spiel ein und schmiegte mich sanft an den kraftstrotzenden Oberkörper des Unbekannten. Es würde höchstens dreißig Minuten angehen, dann ließ er freiwillig von mir ab. Nicht, dass ich nicht das Aussehen hätte, um mir hier einige Männer frei auszuwählen, vielmehr lag es an der etwas gewöhnungsbedürftigen Art meines Bruders, mich zu behüten. Ich weiß nicht, ob es von Vorteil war, aber wenigstens blieb ich so den aufdringlichen und triebgesteuerten Männern verschont. Dennoch sorgte dies auch dafür, dass ich mit meinen zarten siebzehn Jahren nicht ein Date, keinen Freund und ebenso wenig Erfahrungen mit irgendeinem Mann hatte. Kurzgesagt ich war schlichtweg unberührt in jeglicher Art engerer menschlicher Beziehungen, doch bislang vermisste ich nichts. Wie sollte man auch etwas vermissen, was man nicht kannte?


Meine Wahrnehmung war nicht mehr die Beste, selbst die flackernden Lichter nahm ich nur noch wage wahr, dennoch sollte der Abend noch eine ganze Zeit andauern. Nach dieser Tanzeinlage würde ich weiter trinken und feiern, bis die Jungs irgendwann nach Hause wollten. Die Hände des Mannes fuhren an meiner Seite empor, zielsicher auf ihrem Weg zu meiner Oberweite. Benommen vom Rausch ließ ich es mir gefallen und presse mich gänzlich an die nahe Hitze hinter mir. Seine Handflächen umfassten mit festem Griff meinen Busen. Sofort legte ich keuchend meinen Kopf zurück und lehnte so an seiner Schulter. Solche Berührungen waren mir bislang unbekannt, noch nie wagte sich einer so weit vor und dennoch bewirkten sie einen wohligen Impuls, der sich durch meinen Körper zog. 

»Daniel wird dich umbringen ...«, hauchte ich kaum lauter, als das er es vernehmen könnte, während ich automatisch meine Hüfte gegen sein Becken presste und diese im Rhythmus der Musik kreisen ließ. Nun keuchte auch mein Hintermann, augenblicklich wurden seine knetenden Bewegungen fester.


»Um mich umzubringen, müsste er unser kleines Spiel erstmal mitbekommen«, drang seine mir völlig unbekannte, dunkle Stimme an mein Ohr und sorgte einen Moment dafür, dass sich meine Muskeln verspannten. Eine seiner Hände löste sich von meiner Brust und wanderte fahrig an meinen Körper hinab. Erst an meiner Hüfte hielt sie inne und wartete dort darauf von ihrem Besitzer weiter geführt zu werden. 

»Wie wäre es, wenn wir die Unterhaltung an einem anderen Platz intensivieren?«, raunte er in mein Ohr und sorgte so für einen Schauer, der sich langsam einen Weg über meinen Rücken suchte und eine Gänsehaut hinterließ. Ich könnte nicht sagen, dass mich seine Berührungen gänzlich kalt ließen, aber ich erahnte das Ausmaß der Folgen, wenn man uns in einer prekäreren Situation als dieser hier vorfinden würde.


»Ich sollte gehen, es wird das Beste für dich sein.« Ohne eine Antwort von ihm abzuwarten, versuchte ich mich durch die Massen vor uns zu quetschen. Ich musste hier weg, sonst würde ich schwach werden. Mein Bruder war stolz darauf, dass ich mit siebzehn noch unberührt war, aber für mich wurde es immer schwerer. Den Letzten, den ich näher an mich ranließ, lag zwei Wochen in der Intensivstation des örtlichen Krankenhauses und dieser hatte mich lediglich geküsst. Wenn mein Vater nicht so viel Geld hätte, wäre Daniel wahrscheinlich auch nicht ohne eine deftige Strafe davon gekommen. 

»Hau doch nicht gleich ab!« Seine Hand ergriff mein Handgelenk und zerrte mich durch die Massen Richtung Toilette. Hastig schubste er mich an die Wand, griff feste in meinen Hintern, hob mich an und presste sich an mich. Einen Augenblick sah er mich an, nur um dann fahrig mit seiner Zunge in meinen Mundraum vorzustoßen. Mein Herz raste gegen meinen Brustkorb und ein leises Stöhnen konnte ich mir nicht verkneifen. Ich brauchte mich nicht währen, mir war bewusst, dass dies nicht weit gehen würde. Einer hatte immer ein Auge auf mich, was bei einer Clique von sieben Mann wirklich nicht schwer war.


Ein Mann neben uns räusperte sich, aus den Augenwinkeln konnte ich lediglich einen Lateinamerikaner ausmachen. 

»Hey darf ich abklatschen? Die Dame schuldet mir noch einen Tanz.« Oh Gott, diese Stimme brachte mich unweigerlich zum Grinsen. Der Mann vor mir löste den Kuss und drehte langsam seinen Kopf, ehe er mich auf den Boden absetzte. 
»Dir ist wohl nicht aufgefallen, dass wir Zweisamkeit gesucht haben und ein Dritter im Bunde ist da zu viel.« Der Latino neben uns räusperte sich nur kurz, bevor er die Hand meines Gegenüber packt und ihn ein Stück von mir wegzog. 
»Rio, es ist alles in Ordnung«, mischte ich mich nun ein und fasste das Handgelenk des Neudazugekommenen, der zeitgleich mein bester Freund war und gerade die Eifersuchtsszene versuchte, um den anderen loszuwerden. Wie ich bereits feststellte, ich war eigentlich immer unter Beobachtung, nur gut, dass er auftauchte und nicht mein Bruder. Rio Curtis war ein hochgewachsener junger Mann Mitte Zwanzig und jobbte aus Langeweile als Rettungsassistent. Wie das klingen muss, aus Langeweile, aber da seine Eltern reich sind, müsste er es nicht. Seine blaugrauen Augen blitzten auf und schon fasste er meine Schulter und drückte mich ohne ein weiteres Wort von dem Mann weg. 
»Ihr seit doch alle gleich schlimm«, lachte ich, als ich ihm scherzhaft in die Rippen stieß. 
»Daniel und ich sind die Schlimmsten, würde ich fast behaupten«, sprach er mit fester Stimme und chauffierte mich unaufhaltsam durch die Masse.


An einer etwas freieren Stelle kurz vor der Bar stellte er sich vor mich und legte seine Hände auf meine Hüften. 

»Lass uns ein wenig Tanzen und danach zur Theke zurückgehen.« Was er Tanzen nannte, würde ich eher als Verhör ohne Gefahren ansehen. Er fragte, ich antwortete und kein Daniel, der in Rage geraten könnte. Ein zufriedenes Lächeln überzog seine Lippen, als ich mich ihm näherte und meine Hände auf seinen Schultern ablegte. 
»Dann schieß los, Spürnase«, mit diesen Worten lehnte ich mich an ihn und genoss die Wärme, die er ausstrahlte. 
»Warum provozierst du den Stress? Du weißt genau, dass Daniel es nicht gerne sieht, wenn jemand Hand an dich legt.« Neugierig war er gar nicht, welche Antwort erwartete er? Wollte er wirklich hören, dass ich endlich wissen wollte, wovon mir seine Schwester als beste Freundin seit einem Jahr vorschwärmte? Ich kam mir manchmal komisch vor, wenn Ashley zu mir kam und mir erzählte, wie es zwischen ihr und ihrem Freund war und ich nicht mitreden konnte. 
»Meinst du wirklich Daniel? Oder traust du dich nicht zuzugeben, dass es dich genauso stört?«, konterte ich gelassen, um ihn ein wenig zu ärgern. Er war mein bester Freund und ebenso der beste Freund meines Bruders. Einerseits tat er mir leid, wir kamen beide zu ihm, wenn irgendwas war, andererseits war es umso leichter, den er konnte immer alles aus der Welt schaffen. 
»Das hättest du gerne, oder?« Okay, damit hatte ich nicht gerechnet und schon schoss die Wärme in mein Gesicht. Ich mochte ihn, ja, aber nicht so. Erleichtert seufzte ich, als der DJ einen dieser ruhigen Lovesongs auflegte und ich sofort ein wenig abstand zwischen uns beide bringen könnte.


Alles wäre so leicht gewesen, wenn er mitgespielt hätte, doch sofort kreuzten sich seine Arme auf meinem Rücken und zogen mich noch näher an sich, als es vorher schon der Fall gewesen war. 

»Wir haben doch gerade erst angefangen zu tanzen«, hauchte er in mein Ohr und lehnte seinen Kopf dabei an Meinen. Sanft schmiegte er sich an mich und wiegte uns im Takt zur Melodie auf der Tanzfläche. 
»Ich mag dich, sehr sogar. Über mehr würde ich nicht mal nachdenken wollen, dafür hab ich zu viel Respekt vor deinem Bruder. Aber wenn du es hören willst ...« Er stockte kurz, bevor er seinen Griff etwas lockerte und sein Gesicht vor meinem platzierte. Seine blaugrauen Augen funkelten kurz auf und fixierten die Meinen, ehe er weiter sprach. 
»Ja, es stört mich genauso, wenn du dich von einem Wildfremden an Stellen begrapschen lässt, an die ich mich nicht einmal im Traum wagen würde.« Mein Herz raste augenblicklich ein ganzes Stück schneller und sein warmer Atem, der auf mein Gesicht traf, vereinfachte es nicht, dies zu verbergen. Ich war nicht hinter ihm her, zumindest wäre es mir nicht bewusst, und auch wenn ich es feststellen sollte, würde es nichts daran ändern, dass nach Ansicht meines Bruders niemand für mich recht war. Obendrauf folgte noch die Tatsache, dass ich es ihm niemals sagen könnte. Er war mein bester Freund und als diesen wollte ich ihn auch behalten. Rios Stirn lehnte sich an meine, während er sich weiter sanft im Takt bewegte. 
»Mach dir keine Gedanken, Ricarda, du weißt, dass ich meiner Ex hinterherlaufe.« Mit einem Lächeln nickte ich, er konnte sich gar nicht vorstellen, wie sehr mich diese Aussage gerade erleichterte, auch wenn sie vielleicht nur geäußert wurde, um mich zu beruhigen.


Einige Lieder später drängten wir uns lachend durch die Menge an die Theke, um uns zum Rest der Truppe durchzukämpfen. Alle standen dort herum, außer Ashley und ihr Freund. Sicherlich hingen die beiden noch immer engumschlungen auf der Tanzfläche fest. Daniel, mein Bruder, stand mittig von allen und hob ein Glas in meine Richtung. Ich nickte kurz, bevor ich mich von Rio löste und schnellen Schrittes zu ihm ging. Dankend nahm ich ihm das Glas ab. Mit einem Lächeln betrachtete ich ihn, seine zerzausten braunen Haare fielen wiedermal in sein Gesicht und verdeckten ansatzweise seine leuchtenden türkisblauen Augen. 

»Wir sollten bald nach Hause, ich wäre nicht imstande dich zu tragen«, sprach er mit seiner typischen Gelassenheit und lehnte sich an die Holztheke. Er war sich immer im Klaren, was für mich am Besten sei. Ich nahm es ihm nicht übel, es gehörte einfach zu ihm. Wir tranken noch unsere Getränke zu Ende und danach machten wir uns langsam auf zum Ausgang. Es war bereits weit nach zwei, als wir auf die Straße traten. Sofort legte sich Daniels Arm um meine Schulter und zog mich an seinen stählernen und warmen Körper. Ich lehnte mich gegen ihn und sog seinen Geruch ein. Seit er angefangen hatte rauszugehen, liebte ich dieses Gemisch auf seiner Haut, wenn er nach Hause kam. Ein leichter Hauch von Whiskey, Nikotin und seinem Aftershave. Dies gab mir immer die Geborgenheit, die ich seit Jahren gewohnt war.


Wir warteten noch ein wenig, bis Ashley mit ihrem Freund ebenfalls eintraf, erst danach gingen wir los. Inständig hoffte ich, dass dieser Abend ruhig enden würde. Mit Schrecken bedachte ich die letzten Wochenenden und da waren wir nicht mal feiern, sondern trafen uns lediglich im Park. Eine ganze Zeit ging der Weg gut, doch als wir am besagten Park vorbeikamen, trat uns eine Gruppe sichtlich betrunkener Männer entgegen. 

»Hey schaut mal, die Loser haben zwei heiße Weiber dabei. Die machen wir uns klar.« Daniels Griff festigte sich auf der Stelle, hastig zog er mich so nah wie möglich an sich und versuchte mich an der kleinen Gruppe vorbeizuziehen. Doch als eine Hand nach meinem Arm schnellte, ließ er mich abrupt los und stürmte auf den Kerl zu. 
»Daniel!«, schrie ich, als seine Faust auf den Mann zuschnellte und diesen Hart am Kinn traf. 
»Fass sie nie wieder an du widerliches Etwas!«, rief Daniel und beachtete meine Rufe nicht weiter. Sofort gerieten die beiden in einen Austausch ihrer Aggressionen, was die umherstehenden nicht kalt ließ.


Hastig drehte ich mich zu Ashley um, doch bei ihr sah es nicht anders aus. Ein weitere hatte das gleiche System bei ihr versucht und ihr Freund agierte ähnlich wie Daniel. Das hatte man nun davon, wenn man mit einer Gruppe besitzergreifender Männer umherlief. Umgehend drückte man Ashley und mich ein Stück zurück, so dass wir das Geschehen mit ansehen mussten, aber nicht eingreifen konnten. Auf unsere Rufe reagierte keiner der Männer, in ihrer Rage hatten sie uns vollkommen ausgegrenzt. 

»Ich hab es geahnt ...«, sagte ich entschuldigend zu Ashley. Sie war nicht oft mit uns unterwegs. Meist hockte sie mit Klassenkameraden zusammen und lernte für ihr Abitur. Ein Lächeln verzierte ihr wundervoll geschwungenen Lippen, eigentlich hasste sie Streit und vor allem die Folgen, aber ich denke, mir zuliebe hielt sie sich heute zurück. Lässig strich sie eine ihrer wunderschönen braunen Locken aus dem Gesicht und sah sich dieses Geschehen weiter an. Erst als die ersten zu Boden gingen und die Sirenen von den örtlichen Polizeiautos erklangen, lief ich zu Daniel und umfasste seinen Arm. Prompt stieß dieser mich zurück und fuhr mich mit scharfer Stimme an: 
»Rica, du weißt, dass du dich raushalten sollst!« Ich hatte Respekt vor ihm, immer schon, dennoch wollte ich nicht, dass er einen Fehler machte. 
»Dan, die Polizei kommt, bitte!«, flehte ich, doch er ließ sich nicht beirren.


Seine sonst so leeren Augen wirkten hasserfüllt. Es war jedes Mal das gleiche. Die Gruppe schlug sich oft mit anderen, aber Daniel war der Einzige, der nicht aufhörte, der das Ende nicht kannte. Augenblicklich umfasste ein fester Griff meine Schulter und zog mich zurück. 

»Pass auf, sonst kriegst du auch was ab, Kleines«, ertönte Rios Stimme, als er mich aus dem Getümmel gezogen hatte und ich wieder neben Ashley zum stehen kam. Daniel ließ sich nicht beruhigen, was unweigerlich dazu führte, dass die Gesetzeshüter eintrafen, bevor wir die beiden Gruppen voneinander getrennt bekamen.

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