Dienstag, 2. Oktober 2012
Verlegen sah ich zu Boden, aus irgendeinem Grund hatte ich die Hoffnung, das mein Vater die Türe öffnen würde. Es müsste idiotisch klingen, wenn ich einem Wildfremden erklären durfte, dass ich meinen Vater sehen wollte, welcher wahrscheinlich nicht einmal erwähnt hatte, dass er eine Tochter besaß. »Ich wollte Herrn Crawford sprechen, es ist dringen«, platzte es aus mir heraus, was mir sein dunkles Lachen einbrachte, als er sich lässig gegen den Türrahmen lehnte.
»Bist du nicht in bisschen jung um dich auf solche einen alten Mann einzulassen?« Die Frage schockte mich. Ich merkte, wie mein Gesichtsausdruck entgleiste und ich ihn geschockt anstarrte. Dies schien ihm ebenfalls nicht unbemerkt zu bleiben, den augenblicklich verschwand sein Lächeln. Es dauert nur einen Moment, da schien sich mein Gegenüber wieder gefangen zu haben. Seine Tonlage hatte sich verändert, von abschätzend fast schon spöttisch legte er nun einen beruhigenden Ton an.
»Du bist demnach die Tochter von Sally, oder?« Ich nickte, auf das Thema wollte ich noch weniger eingehen, als Vaters Liebschaften. Beides würde mich nur zur Weißglut bringen. Hier war für mich nicht der richtige Ort, um über meine Mutter zu reden.
»Ist mein Vater zuhause?«, fragte ich leise und versuchte das zittern meiner Stimme zu unterdrücken. Die Nervosität musste mir allerdings ins Gesicht geschrieben sein, den ich fühlte mich sichtlich unwohl in meiner Haut. Einfach so unangemeldet in diesem Haus aufzutauchen und um Asyl zu fragen war eigentlich vollkommen unter meinem Niveau.
»Spatz, wer ist gekommen?«, drang eine Schrille weibliche Stimme durch den Flur. Sofort zuckte mein Gegenüber zusammen, peinlich berührt drehte er sich herum. Ein Grinsen konnte ich mir nun nicht nehmen lassen. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn mich jemand so gerufen hätte und vor mir eine vollkommen fremde Person stehen würde. Daniel brachte sowas hin und wieder auch, aber dann stand er hinter mir und wollte einfach nur irgendwelche Vertreter oder Sonstiges abwimmeln.
»Die Tochter von Sally«, schrie er zurück und drehte sich zeitgleich wieder zu mir. Schon griff seine Hand nach meinem Koffer. Langsam räumte er die Türe und hielt sie auf.
»Komm rein, wir gehen erstmal ins Wohnzimmer.« Irgendwie irritierte mich die Tatsache, dass er nur den Namen meiner Mutter in den Mund genommen hatte und den Vaters vollkommen ausließ, immerhin war ich die Tochter von beiden. Einen Moment betrachtete ich ihn, beschloss dann aber reinzugehen und ihm zu folgen.
Das Haus war wirklich größer, allein der Eingangsbereich war fast doppelt so groß als in unserem bescheidenem Haus. Im Moment rechnete ich damit, dass man sich hier verlaufen könnte. Der Junge ging durch den Flur stur gerade aus an einer Treppe vorbei. Kurz dahinter waren auf der rechten Seite zwei offene Schiebetüren und genau dadurch schritt er in den nächsten Raum. Das helle Sonnenlicht trat direkt durch die Außenwand ein, die komplett aus Fenster bestand. Einige Stufen führten uns in den eigentlichen Raum herein. Helles Parkett, cremefarbene Wände und eine moderne Ausstattung verzierte das Zimmer. Mittig stand ein Tisch und darum eine große Couch. Erstaunt drehte ich mich im Kreis, um auch wirklich jeden Centimeter zu sehen, als mich schon die klackernden Geräusche von Pumps aus dem Staunen rissen. Vor uns tauchte eine Frau auf, sie müsste ungefähr ende dreißig sein. Ihre braunen schulterlangen Haare fielen ihr ins Gesicht.
»Die kleine Ricarda, wie geht es dir? Hat Bradley dich ordentlich behandelt?«, sprach sie mit piepsiger Stimme in meine Richtung. Augenblicklich weckte diese Stimme Erinnerungen aus meiner Kindheit. Einen Moment schloss ich die Augen und konnte meine Mutter vor mir sehen. Ich wusste, dass ich diese Frau kannte, konnte sie aber keinesfalls zuordnen, ihr Aussehen schien so fremd.
»Alles bestens«, hauchte ich ihr entgegen, um ihre Frage nicht offen stehen zu lassen, als bereits die Türe zu unserer rechten aufgerissen wurde.
»Mami, Mami, ich schaff die Aufgabe nicht!« Mein Blick zur Seite verriet mir, dass dort ein kleines Mädchen stand, vielleicht sieben oder acht mit langen schwarzen Haaren. Freundlich lächelte ich ihr entgegen doch direkt versteckte sie sich hinter dem Türrahmen.
»Dein Vater hilft dir gleich, okay Schätzchen?« Als ich diese Worte vernahm, musste ich hart schlucken. Vater hatte demnach wirklich eine neue Familie. Ich fragte mich, warum Daniel es nie erwähnt hatte, immerhin war er jedes Mal geschäftlich hier, wenn ich auf Klassenfahrten oder sonst wo war. Mit einem Lächeln wandte sich die Frau wieder zu mir, doch ihre Blicke waren eiskalt.
»Du siehst aus wie deine Mutter. Es tut mir leid, dass sie so früh verstarb und sie sich nicht mehr um euch kümmern konnte.«
»Daniel passt sehr gut auf mich auf. Außerdem ist Vater auch noch da, wenn was sein sollte.« Sie nickte verständlich und blickte dann zu dem jungen Mann rüber. Bradley stellte derweil meinen Koffer an die Wand und ließ sich auf der Couch nieder.
»Hast du vor länger zu bleiben?« Die Freundlichkeit in ihrer Stimme war fast gänzlich verschwunden. Es war idiotisch von Daniel zu glaube, ich könnte hier auftauchen und direkt hierbleiben. Er hätte Vater vorher benachrichtigen sollen. In diesem Moment fiel mir keine brauchbare Erklärung ein und die Wahrheit wollte ich ihr nicht erklären. Ich kannte sie nicht, folglich ging sie das Geschehen nichts an.
»Oh entschuldige, ich hab mich gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Sera. Nach dem Tod deiner Mutter hab ich deinen Vater unterstützt und bin nun seit etwas zweieinhalb Jahren mit ihm verlobt.« Freudig hob sie ihre Hand und hielt mir den Verlobungsring unter die Nase.
»Du müsstest mich eigentlich noch von früher kennen, ich hab immer sehr viel mit Sally unternommen«, fügte sie ihrer Aussage hinzu, während sie sich neben Bradley auf die Couch setzte und seine Blicke auf ihn wandte.
»Setz dich Rica, ich werd Richard suchen«, sprach der Braunhaarige aus und stand auf. Zögernd setzte ich mich gegenüber von Sera und starrte auf meine Hände. Ich wollte gerade einfach nur nach Hause, diese ganze Situation war mir wirklich unangenehm. Stille trat in den Raum, die erst nach einigen Minuten durch ein Räuspern von Sera unterbrochen wurde.
»So gern ich deine Mutter auch hatte, Ricarda...wir können dich hier nicht unterbringen, du passt nicht in unsere Familie.« Verständlich nickte ich, wie hätte ich auch etwas anderes denken sollen? Vater hatte ein neues Leben begonnen, natürlich war ich bei dieser Familie nicht willkommen.
»Ricarda wird vorläufig hierbleiben. Die ersten Tag wird sie sich das Zimmer mit Bradley teilen müssen und danach entscheide ich weiter«, ertönte eine dunkle Männerstimme und ließ Sera schockartig aufsehen. Diese Stimme durchfuhr mich augenblicklich. Seit langem hatte ich sie nicht mehr gehört und dennoch fehlte mir der Mut, mich in seine Richtung zu drehen. Zu tief lagen die Schmerzen darüber, dass er uns einfach alleine gelassen hatte. Den Kontakt zu Daniel hielt er aufrecht, aber ich bekam nicht einmal einen Anruf. Statt zu ihm aufzusehen, starrte ich stur auf die Frau mir gegenüber. Mir war bewusst, dass sie diejenige war, die mich nicht hier haben wollte. Das ganze würde nichts bringen, ich wollte hier nicht für Streit sorgen.
»Ich möchte euch keine Umstände machen, ich fahr wieder nach Hause, es wird das Beste für alle Parteien sein.«
»Ricarda, setz dich!«, herrschte mich mein Vater an. Sofort ließ ich mich wieder auf das kalte Leder nieder und starrte auf meine Hände. Die Stimme des Mannes jagte mir einen Schauer über den Rücken, und als auch noch seine Schritte erklangen, die immer näher kamen, verspannten sich meine Muskeln. Aus meinen Augenwinkeln konnte ich erkennen, dass er auf die Couch zuging und sich neben Sera niederließ.
»Sie wird einige Zeit hier bleiben. Ich werde ihr eine Unterkunft suchen, das versprech ich dir. Aber Daniel hat angerufen, er kann sie nicht länger bei sich halten. Es ist das eingetroffen, wovor ich seit Jahren Angst hatte.«
»In Ordnung, die Umstände waren mir nicht bekannt. Selbstverständlich kann sie erstmal hierbleiben«, sprach Sera aus, was mich dazu verleitete meinen Blick zu erheben. Sofort schaute ich in die haselnussbraunen Augen meines Vaters, deren Blick ernst auf mir lag. Wie immer war ihm alles bekannt. Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen, als er sich schon wegdrehte.
»Es wäre nett, wenn du sie deinen Freunden vorstellen würdest und ihr ein wenig die Stadt zeigst. Sie wird hier alles neu aufbauen müssen«, sprach er zu Bradley gewandt. Ich brauchte ihn nicht einmal ansehen, um zu wissen, dass es ihm nicht recht war. Jetzt würde ich mich nicht nur in sein Zimmer drängen, sondern auch in sein Privatleben. Welcher junger Erwachsener fände das schon gut?
»Natürlich, Richard«, sprach Bradley ruhig aus und wendete sich an mich.
»Würdest du mir folgen, Ricarda?« Mein Blick wandte sich zu dem jungen Mann. Lässig lehnte er am Türrahmen, während sein Blick abwartend auf mir lag.
Bradleys Zimmer lag im ersten Obergeschoss des Hauses. Selbst hier konnte man den Wohlstand meines Vaters erkennen.
»Fühl dich wie zuhause«, erklang seine ruhige Stimme hinter mir, was ich mir nicht zweimal sagen ließ. Sofort ließ ich mich auf sein Bett fallen und starrte regungslos an die Decke. Immer noch wollte ich nicht verstehen, warum ich nicht einfach wieder nach Hause konnte. Das Bett bewegte sich leicht, Bradley musste sich neben mich gesetzt haben.
»Wenn du nachher meine Freunde kennenlernst, wunder dich nicht, die sind ein bisschen komisch.« Ich nickte nur, dieses Thema ließ mich an meine Clique denken. Allein der Gedanke könnte mir Tränen in die Augen schießen. Bereits nach diesen wenigen Stunden vermisste ich jeden Einzelnen von ihnen. Doch allen voran fehlte mir mein Bruder. Ohne seine freche und zugleich beschützende Art schien der Tag recht langweilig zu werden. Vater wollte mich hier nicht wirklich haben, seine Lebensgefährtin schon mal gar nicht, das war mir längst bewusst. Warum sollten sie auch ausgerechnet mich hier haben wollen? Ich war zwar seine Tochter, aber dennoch passte ich nicht in diese Familie. Meinen alten Herren erinnerte ich obendrein jedes Mal an seine Fehler. Auch wenn er Mutter fremdgegangen sein sollte, er liebte sie über alles, da war ich mir sicher. Ein leises Seufzen entglitt mir, die ganze Situation war anders, als ich es mir vorgestellt hatte.
»Rica?«, durchbrach Bradley leise die Stille. Sofort drehte ich mich in seine Richtung und nickte leicht.
»Was ist vorgefallen, dass du hier bist?« Erstaunt betrachtete ich ihn. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass es ausgerechnet ihn interessieren würde. Einige Zeit überlegte ich, wo genau ich anfangen sollte, immerhin fing das Ganze nicht erst in der letzten Nacht an.
»Weißt du, nach Mutters Unfall...«, fing ich eine Erklärung an und erzählte ihm so ziemlich alles, was vorgefallen war.
»Ich hatte schon damit gerechnet, dass du irgendwas ausgefressen hast, aber in dem Fall versteh ich Richards Verhalten«, kommentierte Bradley meine Erlebnisse und strich mir lächelnd eine Strähne aus dem Gesicht.
»Du wirst dich hier schnell einleben. Der erste Abend wird der Schlimmste, danach wirst du dich wohlfühlen.« Er schien sich bei seinen Worten sicher zu sein, zumindest verrieten seine Blicke nicht den geringsten Zweifel. Für mich hingegen stand bereits fest, das ein Neuanfang bei weitem nicht so leicht werden würde, wie einfach so zutun, als sei nichts gewesen. Bisher brauchte ich mich um nichts selber kümmern, Daniel hatte alles geregelt und darauf aufgepasst, dass nichts schief lief. Doch dies wäre jetzt vorbei, von Sera bräuchte ich dies nicht erwarten und selbst Bradley schätzte ich nicht so zuvorkommend ein. Mein Bruder hatte mich einfach in allem Verwöhnt und ab jetzt sollte dieser Umstand ein jähes ende nehmen. Erneut seutfte ich und wandte meinen Blick sogleich wieder zur Decke.
»Ich glaube nicht, dass ich hiermit zurechtkommen werde«, hauchte ich leise aus,fest davon überschlossen, dass die erste Zeit die unangenehmsten Wochen meines Lebens werden würden. Selbst die Lust auf den Abend war mir bereits vergangen. Was bitte sollte ich für einen ersten Eindruck auf Bradley hinterlassen? Ich war keins dieser ruhigen Mauerblümchen, ich hatte es genauso faustdick hinter den Ohren wie mein Bruder.
»Du machst das schon, und damit du nicht zu viel über deine Zukunft nachdenkst, mach dich fertig, wir gehen danach los.« Mit diesen Worten stand er auf und ging aus dem Raum raus.
Ganze zwei Stunden später stand ich fertig im Zimmer. Die meiste Zeit hatte ich damit verbracht, um das richtige Outfit zu finden, bis ich beschlossen hatte, einfach das zu nehmen, in dem ich mich am wohlsten fühlte. Jetzt stand ich vor Bradley, der allem Anschein nach Probleme hatte, seine Blicke von mir zu nehmen.
»Und?«, fragte ich mit einer gespielten zuckersüßen Stimme und beobachtete ihn lächeln, während sein Blick mich musterte. Es wunderte mich nicht, eine rote Corsage verdeckte mehr gezwungen meine Oberweite, dabei war die schwarze Verschnürung an der Vorderseite nur so weit zugezogen, dass es auch etwas aussah. Mein Körper war nicht unbedingt für solche Kleidung gebaut, mein Vorbau war weitaus größer, als ich für passende Korsagen brauchen konnte. Zu meiner Taille passte er gar nicht und so hatte ich mir angewöhnt, die Corsagen nicht durchgängig gleich eng zu schnüren. Bei der Brust schnürte ich sie jedoch immer so eng es möglich war, ohne mich in meiner Bewegungsfreiheit einzuschränken. Mein Unterkörper wurde durch einen schwarzen Minifaltenrock mehr schlecht als recht abgedeckt. Meine Freunde würden nun sagen, dass gerade mal die wichtigsten Stellen mit einem Fetzen Stoff bedeckt wurden, aber das störte mich nicht weiter. Ich liebte diesen Rock, ein angenähter Nietengürtel und die Zierstrumpfhalter gaben ihm das gewisse etwas. Im Gegensatz zum Outfit selber, trug ich eher legere Stiefel, kleine Schnallen zierten den Knöchel, dafür waren sie aber äußerst bequem und sahen obendrein schick aus. Was sollte man mehr von einem Paar Schuhe erwarten? Langsam schritt ich an ihm vorbei bis zu meiner Tasche, die offen auf seinem Schreibtischstuhl darauf wartete weiter ausgeräumt zu werden. Mein Mantel lag dort drin und ohne diesen würde ich nicht vor die Tür gehen. Ein paar Handgriffe und schon hatte ich ihn in der Hand. Es war ein dunkler Fleecemantel mit weit schwingendem Saum, vorne hatte er zwei Taschen mit Fellimitat-Applikationen, diese waren ebenfalls an den Ärmeln. Die Verschlüsse waren herzförmig und am Rücken konnte man ihn mit einer Schnürung auf die Figur anpassen. Alles in allem war er sehr bequem und hielt auch an kalten Tagen warm. Jetzt fehlte nur noch die Kette, die mir Daniel vor zwei Jahren zum Geburtstag schenkte, sie gab mir immer Kraft, wenn ich mich unwohl fühlte. Der Anhänger bestand aus zwei Drachen, einer schwarz, der Zweite Silber, dies symbolisierte das dämonische und das himmlische, beide sahen sich an und hielte zusammen einen blutroten Herzkristall in ihren Klauen.
»Okay, jetzt hast du mich geschockt«, sprach mein Gegenüber leise aus, legte aber besondere Betonung auf das Ende des Satzes. Ein Lächeln konnte ich mir in dem Moment nicht verkneifen, so drehte ich mich langsam zu ihm.
»Ich bin weiterhin dieselbe. Immer noch die Tochter eines Firmenleiters und ich weiß auch in solch einem Outfit seinen guten Ruf zu wahren.« Durch seine Aussage entschloss ich mich kurzfristig nur ein dezentes Make-up aufzulegen. Smokey Eyes würden ihm wahrscheinlich jetzt den Rest geben und meinen ersten Eindruck bei seinen Freunden erschreckend verschlechtern. Bradley nickte kurz und sah darauf an sich hinab. Seine Kleidung war locker, eine Designerjeans und ein weißes Hemd. Jetzt war ich mir nicht mehr sicher, ob ich in meinem Outfit richtig gekleidet war. Zögerlich trat ich ein paar Schritte auf den Man vor mir zu und legte meine Kopf spielerisch in die schräge. Meine Blicke wandten sich nicht von seinem Gesicht, während ich ihm leise eine Frage stellte:
»Nimmst du mich so mit?«
»Klar, warum nicht? Das Outfit ist heiß«, sprach er gelassen aus. Das Lächeln auf seinem Lippen, dass sich bei diesen Worten bildete, war kaum zu übersehen und so gingen wir ohne weitere Unterhaltungen aus dem Haus in einen ungewissen Abend.
»Bist du nicht in bisschen jung um dich auf solche einen alten Mann einzulassen?« Die Frage schockte mich. Ich merkte, wie mein Gesichtsausdruck entgleiste und ich ihn geschockt anstarrte. Dies schien ihm ebenfalls nicht unbemerkt zu bleiben, den augenblicklich verschwand sein Lächeln. Es dauert nur einen Moment, da schien sich mein Gegenüber wieder gefangen zu haben. Seine Tonlage hatte sich verändert, von abschätzend fast schon spöttisch legte er nun einen beruhigenden Ton an.
»Du bist demnach die Tochter von Sally, oder?« Ich nickte, auf das Thema wollte ich noch weniger eingehen, als Vaters Liebschaften. Beides würde mich nur zur Weißglut bringen. Hier war für mich nicht der richtige Ort, um über meine Mutter zu reden.
»Ist mein Vater zuhause?«, fragte ich leise und versuchte das zittern meiner Stimme zu unterdrücken. Die Nervosität musste mir allerdings ins Gesicht geschrieben sein, den ich fühlte mich sichtlich unwohl in meiner Haut. Einfach so unangemeldet in diesem Haus aufzutauchen und um Asyl zu fragen war eigentlich vollkommen unter meinem Niveau.
»Spatz, wer ist gekommen?«, drang eine Schrille weibliche Stimme durch den Flur. Sofort zuckte mein Gegenüber zusammen, peinlich berührt drehte er sich herum. Ein Grinsen konnte ich mir nun nicht nehmen lassen. Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn mich jemand so gerufen hätte und vor mir eine vollkommen fremde Person stehen würde. Daniel brachte sowas hin und wieder auch, aber dann stand er hinter mir und wollte einfach nur irgendwelche Vertreter oder Sonstiges abwimmeln.
»Die Tochter von Sally«, schrie er zurück und drehte sich zeitgleich wieder zu mir. Schon griff seine Hand nach meinem Koffer. Langsam räumte er die Türe und hielt sie auf.
»Komm rein, wir gehen erstmal ins Wohnzimmer.« Irgendwie irritierte mich die Tatsache, dass er nur den Namen meiner Mutter in den Mund genommen hatte und den Vaters vollkommen ausließ, immerhin war ich die Tochter von beiden. Einen Moment betrachtete ich ihn, beschloss dann aber reinzugehen und ihm zu folgen.
Das Haus war wirklich größer, allein der Eingangsbereich war fast doppelt so groß als in unserem bescheidenem Haus. Im Moment rechnete ich damit, dass man sich hier verlaufen könnte. Der Junge ging durch den Flur stur gerade aus an einer Treppe vorbei. Kurz dahinter waren auf der rechten Seite zwei offene Schiebetüren und genau dadurch schritt er in den nächsten Raum. Das helle Sonnenlicht trat direkt durch die Außenwand ein, die komplett aus Fenster bestand. Einige Stufen führten uns in den eigentlichen Raum herein. Helles Parkett, cremefarbene Wände und eine moderne Ausstattung verzierte das Zimmer. Mittig stand ein Tisch und darum eine große Couch. Erstaunt drehte ich mich im Kreis, um auch wirklich jeden Centimeter zu sehen, als mich schon die klackernden Geräusche von Pumps aus dem Staunen rissen. Vor uns tauchte eine Frau auf, sie müsste ungefähr ende dreißig sein. Ihre braunen schulterlangen Haare fielen ihr ins Gesicht.
»Die kleine Ricarda, wie geht es dir? Hat Bradley dich ordentlich behandelt?«, sprach sie mit piepsiger Stimme in meine Richtung. Augenblicklich weckte diese Stimme Erinnerungen aus meiner Kindheit. Einen Moment schloss ich die Augen und konnte meine Mutter vor mir sehen. Ich wusste, dass ich diese Frau kannte, konnte sie aber keinesfalls zuordnen, ihr Aussehen schien so fremd.
»Alles bestens«, hauchte ich ihr entgegen, um ihre Frage nicht offen stehen zu lassen, als bereits die Türe zu unserer rechten aufgerissen wurde.
»Mami, Mami, ich schaff die Aufgabe nicht!« Mein Blick zur Seite verriet mir, dass dort ein kleines Mädchen stand, vielleicht sieben oder acht mit langen schwarzen Haaren. Freundlich lächelte ich ihr entgegen doch direkt versteckte sie sich hinter dem Türrahmen.
»Dein Vater hilft dir gleich, okay Schätzchen?« Als ich diese Worte vernahm, musste ich hart schlucken. Vater hatte demnach wirklich eine neue Familie. Ich fragte mich, warum Daniel es nie erwähnt hatte, immerhin war er jedes Mal geschäftlich hier, wenn ich auf Klassenfahrten oder sonst wo war. Mit einem Lächeln wandte sich die Frau wieder zu mir, doch ihre Blicke waren eiskalt.
»Du siehst aus wie deine Mutter. Es tut mir leid, dass sie so früh verstarb und sie sich nicht mehr um euch kümmern konnte.«
»Daniel passt sehr gut auf mich auf. Außerdem ist Vater auch noch da, wenn was sein sollte.« Sie nickte verständlich und blickte dann zu dem jungen Mann rüber. Bradley stellte derweil meinen Koffer an die Wand und ließ sich auf der Couch nieder.
»Hast du vor länger zu bleiben?« Die Freundlichkeit in ihrer Stimme war fast gänzlich verschwunden. Es war idiotisch von Daniel zu glaube, ich könnte hier auftauchen und direkt hierbleiben. Er hätte Vater vorher benachrichtigen sollen. In diesem Moment fiel mir keine brauchbare Erklärung ein und die Wahrheit wollte ich ihr nicht erklären. Ich kannte sie nicht, folglich ging sie das Geschehen nichts an.
»Oh entschuldige, ich hab mich gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Sera. Nach dem Tod deiner Mutter hab ich deinen Vater unterstützt und bin nun seit etwas zweieinhalb Jahren mit ihm verlobt.« Freudig hob sie ihre Hand und hielt mir den Verlobungsring unter die Nase.
»Du müsstest mich eigentlich noch von früher kennen, ich hab immer sehr viel mit Sally unternommen«, fügte sie ihrer Aussage hinzu, während sie sich neben Bradley auf die Couch setzte und seine Blicke auf ihn wandte.
»Setz dich Rica, ich werd Richard suchen«, sprach der Braunhaarige aus und stand auf. Zögernd setzte ich mich gegenüber von Sera und starrte auf meine Hände. Ich wollte gerade einfach nur nach Hause, diese ganze Situation war mir wirklich unangenehm. Stille trat in den Raum, die erst nach einigen Minuten durch ein Räuspern von Sera unterbrochen wurde.
»So gern ich deine Mutter auch hatte, Ricarda...wir können dich hier nicht unterbringen, du passt nicht in unsere Familie.« Verständlich nickte ich, wie hätte ich auch etwas anderes denken sollen? Vater hatte ein neues Leben begonnen, natürlich war ich bei dieser Familie nicht willkommen.
»Ricarda wird vorläufig hierbleiben. Die ersten Tag wird sie sich das Zimmer mit Bradley teilen müssen und danach entscheide ich weiter«, ertönte eine dunkle Männerstimme und ließ Sera schockartig aufsehen. Diese Stimme durchfuhr mich augenblicklich. Seit langem hatte ich sie nicht mehr gehört und dennoch fehlte mir der Mut, mich in seine Richtung zu drehen. Zu tief lagen die Schmerzen darüber, dass er uns einfach alleine gelassen hatte. Den Kontakt zu Daniel hielt er aufrecht, aber ich bekam nicht einmal einen Anruf. Statt zu ihm aufzusehen, starrte ich stur auf die Frau mir gegenüber. Mir war bewusst, dass sie diejenige war, die mich nicht hier haben wollte. Das ganze würde nichts bringen, ich wollte hier nicht für Streit sorgen.
»Ich möchte euch keine Umstände machen, ich fahr wieder nach Hause, es wird das Beste für alle Parteien sein.«
»Ricarda, setz dich!«, herrschte mich mein Vater an. Sofort ließ ich mich wieder auf das kalte Leder nieder und starrte auf meine Hände. Die Stimme des Mannes jagte mir einen Schauer über den Rücken, und als auch noch seine Schritte erklangen, die immer näher kamen, verspannten sich meine Muskeln. Aus meinen Augenwinkeln konnte ich erkennen, dass er auf die Couch zuging und sich neben Sera niederließ.
»Sie wird einige Zeit hier bleiben. Ich werde ihr eine Unterkunft suchen, das versprech ich dir. Aber Daniel hat angerufen, er kann sie nicht länger bei sich halten. Es ist das eingetroffen, wovor ich seit Jahren Angst hatte.«
»In Ordnung, die Umstände waren mir nicht bekannt. Selbstverständlich kann sie erstmal hierbleiben«, sprach Sera aus, was mich dazu verleitete meinen Blick zu erheben. Sofort schaute ich in die haselnussbraunen Augen meines Vaters, deren Blick ernst auf mir lag. Wie immer war ihm alles bekannt. Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen, als er sich schon wegdrehte.
»Es wäre nett, wenn du sie deinen Freunden vorstellen würdest und ihr ein wenig die Stadt zeigst. Sie wird hier alles neu aufbauen müssen«, sprach er zu Bradley gewandt. Ich brauchte ihn nicht einmal ansehen, um zu wissen, dass es ihm nicht recht war. Jetzt würde ich mich nicht nur in sein Zimmer drängen, sondern auch in sein Privatleben. Welcher junger Erwachsener fände das schon gut?
»Natürlich, Richard«, sprach Bradley ruhig aus und wendete sich an mich.
»Würdest du mir folgen, Ricarda?« Mein Blick wandte sich zu dem jungen Mann. Lässig lehnte er am Türrahmen, während sein Blick abwartend auf mir lag.
Bradleys Zimmer lag im ersten Obergeschoss des Hauses. Selbst hier konnte man den Wohlstand meines Vaters erkennen.
»Fühl dich wie zuhause«, erklang seine ruhige Stimme hinter mir, was ich mir nicht zweimal sagen ließ. Sofort ließ ich mich auf sein Bett fallen und starrte regungslos an die Decke. Immer noch wollte ich nicht verstehen, warum ich nicht einfach wieder nach Hause konnte. Das Bett bewegte sich leicht, Bradley musste sich neben mich gesetzt haben.
»Wenn du nachher meine Freunde kennenlernst, wunder dich nicht, die sind ein bisschen komisch.« Ich nickte nur, dieses Thema ließ mich an meine Clique denken. Allein der Gedanke könnte mir Tränen in die Augen schießen. Bereits nach diesen wenigen Stunden vermisste ich jeden Einzelnen von ihnen. Doch allen voran fehlte mir mein Bruder. Ohne seine freche und zugleich beschützende Art schien der Tag recht langweilig zu werden. Vater wollte mich hier nicht wirklich haben, seine Lebensgefährtin schon mal gar nicht, das war mir längst bewusst. Warum sollten sie auch ausgerechnet mich hier haben wollen? Ich war zwar seine Tochter, aber dennoch passte ich nicht in diese Familie. Meinen alten Herren erinnerte ich obendrein jedes Mal an seine Fehler. Auch wenn er Mutter fremdgegangen sein sollte, er liebte sie über alles, da war ich mir sicher. Ein leises Seufzen entglitt mir, die ganze Situation war anders, als ich es mir vorgestellt hatte.
»Rica?«, durchbrach Bradley leise die Stille. Sofort drehte ich mich in seine Richtung und nickte leicht.
»Was ist vorgefallen, dass du hier bist?« Erstaunt betrachtete ich ihn. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass es ausgerechnet ihn interessieren würde. Einige Zeit überlegte ich, wo genau ich anfangen sollte, immerhin fing das Ganze nicht erst in der letzten Nacht an.
»Weißt du, nach Mutters Unfall...«, fing ich eine Erklärung an und erzählte ihm so ziemlich alles, was vorgefallen war.
»Ich hatte schon damit gerechnet, dass du irgendwas ausgefressen hast, aber in dem Fall versteh ich Richards Verhalten«, kommentierte Bradley meine Erlebnisse und strich mir lächelnd eine Strähne aus dem Gesicht.
»Du wirst dich hier schnell einleben. Der erste Abend wird der Schlimmste, danach wirst du dich wohlfühlen.« Er schien sich bei seinen Worten sicher zu sein, zumindest verrieten seine Blicke nicht den geringsten Zweifel. Für mich hingegen stand bereits fest, das ein Neuanfang bei weitem nicht so leicht werden würde, wie einfach so zutun, als sei nichts gewesen. Bisher brauchte ich mich um nichts selber kümmern, Daniel hatte alles geregelt und darauf aufgepasst, dass nichts schief lief. Doch dies wäre jetzt vorbei, von Sera bräuchte ich dies nicht erwarten und selbst Bradley schätzte ich nicht so zuvorkommend ein. Mein Bruder hatte mich einfach in allem Verwöhnt und ab jetzt sollte dieser Umstand ein jähes ende nehmen. Erneut seutfte ich und wandte meinen Blick sogleich wieder zur Decke.
»Ich glaube nicht, dass ich hiermit zurechtkommen werde«, hauchte ich leise aus,fest davon überschlossen, dass die erste Zeit die unangenehmsten Wochen meines Lebens werden würden. Selbst die Lust auf den Abend war mir bereits vergangen. Was bitte sollte ich für einen ersten Eindruck auf Bradley hinterlassen? Ich war keins dieser ruhigen Mauerblümchen, ich hatte es genauso faustdick hinter den Ohren wie mein Bruder.
»Du machst das schon, und damit du nicht zu viel über deine Zukunft nachdenkst, mach dich fertig, wir gehen danach los.« Mit diesen Worten stand er auf und ging aus dem Raum raus.
Ganze zwei Stunden später stand ich fertig im Zimmer. Die meiste Zeit hatte ich damit verbracht, um das richtige Outfit zu finden, bis ich beschlossen hatte, einfach das zu nehmen, in dem ich mich am wohlsten fühlte. Jetzt stand ich vor Bradley, der allem Anschein nach Probleme hatte, seine Blicke von mir zu nehmen.
»Und?«, fragte ich mit einer gespielten zuckersüßen Stimme und beobachtete ihn lächeln, während sein Blick mich musterte. Es wunderte mich nicht, eine rote Corsage verdeckte mehr gezwungen meine Oberweite, dabei war die schwarze Verschnürung an der Vorderseite nur so weit zugezogen, dass es auch etwas aussah. Mein Körper war nicht unbedingt für solche Kleidung gebaut, mein Vorbau war weitaus größer, als ich für passende Korsagen brauchen konnte. Zu meiner Taille passte er gar nicht und so hatte ich mir angewöhnt, die Corsagen nicht durchgängig gleich eng zu schnüren. Bei der Brust schnürte ich sie jedoch immer so eng es möglich war, ohne mich in meiner Bewegungsfreiheit einzuschränken. Mein Unterkörper wurde durch einen schwarzen Minifaltenrock mehr schlecht als recht abgedeckt. Meine Freunde würden nun sagen, dass gerade mal die wichtigsten Stellen mit einem Fetzen Stoff bedeckt wurden, aber das störte mich nicht weiter. Ich liebte diesen Rock, ein angenähter Nietengürtel und die Zierstrumpfhalter gaben ihm das gewisse etwas. Im Gegensatz zum Outfit selber, trug ich eher legere Stiefel, kleine Schnallen zierten den Knöchel, dafür waren sie aber äußerst bequem und sahen obendrein schick aus. Was sollte man mehr von einem Paar Schuhe erwarten? Langsam schritt ich an ihm vorbei bis zu meiner Tasche, die offen auf seinem Schreibtischstuhl darauf wartete weiter ausgeräumt zu werden. Mein Mantel lag dort drin und ohne diesen würde ich nicht vor die Tür gehen. Ein paar Handgriffe und schon hatte ich ihn in der Hand. Es war ein dunkler Fleecemantel mit weit schwingendem Saum, vorne hatte er zwei Taschen mit Fellimitat-Applikationen, diese waren ebenfalls an den Ärmeln. Die Verschlüsse waren herzförmig und am Rücken konnte man ihn mit einer Schnürung auf die Figur anpassen. Alles in allem war er sehr bequem und hielt auch an kalten Tagen warm. Jetzt fehlte nur noch die Kette, die mir Daniel vor zwei Jahren zum Geburtstag schenkte, sie gab mir immer Kraft, wenn ich mich unwohl fühlte. Der Anhänger bestand aus zwei Drachen, einer schwarz, der Zweite Silber, dies symbolisierte das dämonische und das himmlische, beide sahen sich an und hielte zusammen einen blutroten Herzkristall in ihren Klauen.
»Okay, jetzt hast du mich geschockt«, sprach mein Gegenüber leise aus, legte aber besondere Betonung auf das Ende des Satzes. Ein Lächeln konnte ich mir in dem Moment nicht verkneifen, so drehte ich mich langsam zu ihm.
»Ich bin weiterhin dieselbe. Immer noch die Tochter eines Firmenleiters und ich weiß auch in solch einem Outfit seinen guten Ruf zu wahren.« Durch seine Aussage entschloss ich mich kurzfristig nur ein dezentes Make-up aufzulegen. Smokey Eyes würden ihm wahrscheinlich jetzt den Rest geben und meinen ersten Eindruck bei seinen Freunden erschreckend verschlechtern. Bradley nickte kurz und sah darauf an sich hinab. Seine Kleidung war locker, eine Designerjeans und ein weißes Hemd. Jetzt war ich mir nicht mehr sicher, ob ich in meinem Outfit richtig gekleidet war. Zögerlich trat ich ein paar Schritte auf den Man vor mir zu und legte meine Kopf spielerisch in die schräge. Meine Blicke wandten sich nicht von seinem Gesicht, während ich ihm leise eine Frage stellte:
»Nimmst du mich so mit?«
»Klar, warum nicht? Das Outfit ist heiß«, sprach er gelassen aus. Das Lächeln auf seinem Lippen, dass sich bei diesen Worten bildete, war kaum zu übersehen und so gingen wir ohne weitere Unterhaltungen aus dem Haus in einen ungewissen Abend.
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